Tagesablauf

Ein erfolgreicher Bildungstag kann unserer Meinung nur auf einer bedürfnisorientierten Erziehung basieren. Dies setzt voraus, dass die pädagogischen Fachkräfte für jedes Kind bedürfnisorientiert handeln. Bedürfnisorientiert meint nicht, tatsächlich jedes Bedürfnis des Kindes immer sofort zu erfüllen – dies ist im Rahmen eines für alle Kinder gelingenden Kitatages nicht immer möglich – aber es bedeutet die Schwerpunktbedürfnisse eines Kindes bewusst zu haben und auf diese altersentsprechend einzugehen, so dass das Kind sich selbstwirksam erleben kann, emotional beteiligt wird und sozial eingebunden ist.

Wir wollen den Kindergartenalltag aus der Sicht von zwei Geschwisterkindern beschreiben – nennen wir sie Anton und Carla. Anton ist 2 Jahre alt und Carla 5. Sie kommen täglich um 6:10 Uhr in die Kita. Da um diese Zeit nur sehr wenig Kinder in der Kita abgegeben werden, kümmert sich eine pädagogische Fachkraft (hier Erzieherin) im Krippenbereich um die ankommenden Kinder. Anton zieht sich mit seinem Papa im Garderobenbereich der Krippe aus, während Carla sich in der Garderobe ihres Bezugsgruppenzimmers umkleidet. Carla und Anton treffen sich beide an der Tür des Frühdienstzimmers wieder. Dort wartet die Erzieherin auf die beiden, begibt sich in deren Augenhöhe und begrüßt sie freundlich. Ihre erste Aufmerksamkeit gilt den beiden Kindern, ihrem Befinden und der Wahrnehmung ihrer momentanen Bedürfnisse. Während Carla sich sofort von ihrem Vater löst und an der Erzieherin vorbei in den Raum läuft, um sich dort einem Spielzeug zu widmen, klammert sich Anton noch an den Vater. Die Erzieherin wartet ab, lässt den Vater erzählen und gibt ihm und seinem Sohn Raum und Zeit Abschied voneinander zu nehmen. Gleichzeitig signalisiert sie ihre Bereitschaft als Bezugsperson zur Verfügung zu stehen und das Kind mit seinen Bedürfnissen in den Kitaalltag zu begleiten. Nach einer Weile übergibt der Vater das Kind, winkt seiner Tochter und dem Sohn und verlässt den Sichtbereich. Carla spielt, während Anton zunächst auf dem Arm der Erzieherin bleibt, sich trösten lässt und die Umgebung beobachtet, bis auch er bereit ist den Raum zu erkunden. In der nächsten dreiviertel Stunde kommen weitere Mädchen und Jungen hinzu. Auch Carlas Freundin ist dabei und beide verständigen sich auf ein Spiel. Den Peergroups kommt im Kindergartenalltag eine besondere Bedeutung beim Lernen zu, denn durch sie erhalten Kinder die Chance neue Blickwinkel zu gewinnen und sich sozial eingebunden zu fühlen.

Gegen dreiviertel sieben kündigt die Erzieherin zum ersten Mal an, dass es für die Kinder der oberen Etage (also die Kitakinder) in den nächsten Minuten Zeit wird aufzuräumen und mit einer weiteren pädagogischen Fachkraft nach oben zu gehen. Dort können die Kinder entscheiden, ob sie das Frühstück vorbereiten oder ihr Spiel fortsetzen möchten. Carla entscheidet sich mit ihrer Freundin das Frühstück im Kinderrestaurant vorzubereiten und einem jüngeren Kindergartenkind dabei zu helfen. Sie erlebt sich in diesem Moment als selbstwirksam und beteiligt sich emotional, indem sie ein anderes Kind beim Lernen unterstützt. Anton bleibt unterdessen im Krippenzimmer der unteren Etage und übt sich im Rutschen. Er ist motorisch aktiv und kommt damit seinem aktuellen Bedürfnis nach Bewegung nach. Gegen 7:30 Uhr ist das Frühstück in der oberen und unteren Etage fertig vorbereitet. Die Kinder, welche in der Kita frühstücken, entscheiden, ob sie sofort zum Frühstück gehen oder noch etwas warten. Das Kinderrestaurant schließt in der Regel spätestens 8:30 Uhr wieder. Während der Frühstückszeit öffnen nach und nach weitere Räume zum Freispiel. Die Kinder entscheiden, in welchem Raum sie gern tätig sein möchten und suchen sich ihr Spiel sowie Spielpartner selbst.

Sowohl in der Krippe als auch im Kindergartenbereich entscheiden die pädagogischen Fachkräfte, ob sie am Morgen einen Gesprächskreis anbieten. Dies ist abhängig vom Spiel und den Signalen der Kinder sowie aktuellen Themen. Wichtig ist es für die pädagogischen Fachkräfte, das Spiel als Lernfeld der Kinder nicht unnötig zu stören. Carla hat sich nach dem Frühstück einen neuen Raum gesucht, weil weitere Freunde hinzugekommen sind. Gemeinsam planen sie mit Wasser zu experimentieren. Sie wählen sich Material und beginnen mit ihrer Bildungsreise zum Thema Wasser. Eine pädagogische Fachkraft beobachtet die Kinder, bietet Material sowie Hilfe an und gibt Hinweise. Dabei mischt sie sich nicht in das Experiment ein, sondern lässt die Kinder eigene Erfahrungen sammeln.

Anton folgt zur gleichen Zeit dem Angebot einer pädagogischen Fachkraft in der Krippe. Sie hält die Triangel in der Hand und fragt, welches Kind mit ihr gemeinsam musizieren möchte. Anton und 5 weitere Jungen und Mädchen folgen ihr. Zusammen probieren sie verschiedene Instrumente, singen bekannte Lieder, lernen ein neues und bewegen sich zur Musik. Als sie fertig sind gehen sie zurück. In der Garderobe ziehen sich bereits Kinder an, um in den Garten zu gehen. Anton und zwei weitere Kinder signalisieren, dass sie dies auch möchten. Eine Erzieherin nimmt sie in der Garderobe hinzu. Bevor sie die Matschhosen anziehen, fragt sie Anton, ob er noch einmal auf die Toilette gehen muss. Anton möchte nicht. Er hat eine Windelhose an und die Fachkraft akzeptiert seinen Wunsch. Als sie ihm beim Anziehen der Matschhose helfen möchte, protestiert der Junge. Er möchte keine Matschkleidung. Die Erzieherin erklärt ihm, dass es kalt und nass sei und er sicherlich bald frieren würde. Doch er sperrt sich weiterhin. Die Erzieherin geht auf seine Gefühle ein und erklärt ihm dann, dass sie zunächst einem Kind helfen wird, dass gerade Probleme beim Anziehen der Schuhe hat. Anton läuft unterdessen in der Garderobe umher und beobachtet, wie die Kinder nacheinander im Garten verschwinden. Er bleibt als letztes in der Garderobe. Die Erzieherin nimmt ihn zur Tür, öffnet diese und zeigt ihm, wie kalt es ist. Danach schließt sie die Tür und eröffnet ihm zwei Möglichkeiten: Er zieht sich die Regenkleidung an und geht mit ihr in den Garten, denn ohne Regensachen wird er krank oder er geht zu den anderen Kindern ins Zimmer. Anton weint. Er möchte ohne Matschsachen raus. Doch die Erzieherin bleibt konsequent. Sein Schwerpunktbedürfnis ist Bewegung im Freien. Diesem möchte sie gern nachkommen. Doch Anton ist nicht in der Lage die Konsequenzen zu verstehen, die ein Herumtoben ohne Schutzkleidung für ihn hat.  Vorsichtig geht sie mit Anton zum Zimmer. Vor der Zimmertür dreht sich Anton um und zeigt auf seinen Garderobenplatz.  Noch etwas schluchzend lässt sich er sich beim Anziehen helfen. Dabei unterhält sich die Erzieherin freundlich mit ihm, begleitet jede Aktion mit Worten und stimmt ihn fröhlich auf den Garten ein.  Danach gehen sie gemeinsam nach draußen. Im Garten winkt ihm Carla. Sie hat mit der Erzieherin besprochen, dass es im Garten heute viele Pfützen zum Experimentieren gibt und sie im Freien spielen möchte anstatt einem anderen Kita – Angebot im Haus nachzugehen. Anton stellt sich neben die Mädchen und schaut ihnen zu, bevor er die Schaukel für sich entdeckt. Er läuft zur Schaukel, wartet bis das andere Kind fertig ist, klettert allein hinauf und bewegt sich rhythmisch bis die Schaukel sich in Bewegung setzt: Hier kommen viele Bildungsbereiche zusammen: sich an Regeln halten – abwarten; sich körperlich koordinieren; Bewegungsabläufe verstehen und Zusammenhänge herzustellen … die Kinder lernen im Spiel. Sie entdecken ihre Welt Schritt für Schritt – am besten im Freispiel. Aber auch in gezielten Angeboten erweitern sie ihre Kompetenzen, solange die Angebote sich an ihren Bedürfnissen orientieren. In unserer Kita gibt es daher verschiedene feste und planbare Angebote (Wandern, Zahlenland, Trommeln außer Rand und Band usw.) neben unregelmäßigen, situationsorientierten.

Gegen 11 Uhr gehen die Krippenkinder wieder ins Haus, ziehen sich aus, waschen sich und gehen gemeinsam ins Restaurant. Sich nach dem Spiel im Freien zu waschen, bevor man zum Essen geht, musste Anton erst lernen. Dabei halfen ihm die anderen Kinder. Heute zeigt Anton jüngeren Kinder, dass es wichtig ist sich vor dem Essen die Hände zu waschen. Auch beim Essen am Tisch hat er viel gelernt: Er hat gelernt sein Bedürfnis (die Nudel essen) zu erfassen, die Nudel auf den Löffel zu transportieren und zum Mund zu führen. Er hat es gelernt für sich zu sorgen und auch für andere: Seinem Nachbarn fällt der Löffel aus der Hand – Anton gibt ihn ihm wieder. Das gemeinsame Essen ist eine komplexe Situation und birgt im Krippen- und Kitabereich eine Menge an Lernerfahrungen. Auch Carla lernt beim Essen: Heute gibt es Zucchini. Ein Kind meint, es mag keine Gurken. Ein anderes erklärt, dass das keine Gurke sei und es wirklich lecker schmeckt. Wirklich? Alle Kinder probieren und die Erzieherin fragt nach, wie es schmeckt. Gut – ist die einvernehmliche Antwort. Die Erzieherin fragt weiter: Wisst ihr, ob das ein Obst oder Gemüse ist? Und mit vielen weiteren Fragen lernen die Kinder, wo Zucchini wächst, wie sie schmeckt und das sie gesund ist.

Nach dem Mittagessen beginnt die Mittagspause. Diese teilt sich in der Zeit von 12Uhr bis 14Uhr in eine Schlafenszeit für alle Kinder mit Schlafbedürfnis und eine Ruhezeit für alle Kinder, die nicht mehr schlafen. Anton ist müde, er legt sich hin, während Carla schon lange nicht mehr schläft. Sie geht mit den „Traumkindern“ in den Mehrzweckraum, hört eine Entspannungsgeschichte und beschäftigt sich anschließend in der Lernwerkstatt leise. 13:30Uhr bereitet sie das Vesper vor, weil sie sich in dieser Woche für den Vesperdienst gemeldet hat.

Die Mittagsruhe und damit der Schlaf ist ein sehr sensibler Bedürfnisbereich. Hier gilt es die Bedürfnisse der Kinder besonders gut wahrzunehmen, einzuordnen und immer wieder zu hinterfragen. Auch bei Carla war dies ein langer, bewegter Prozess. Mit 3 Jahren wollte sie mittags nicht mehr schlafen, sondern spielen. Die Erzieherin ging auf dieses Bedürfnis ein, beobachtete jedoch an mehreren Tagen in Folge, dass Carla immer kurz nach der Vesper auf der Garderobenbank einschlief oder kurz vorm Einschlafen war. Die Erzieherin besprach mit Carla ihre Beobachtungen und die beiden vereinbarten eine Regel, nach der Carla sich immer erst eine Stunde ausruhen sollte, bevor sie aufstand. In den kommenden Wochen schlief Carla in der Zeit immer wieder ein und konnte am Nachmittag munter spielen. Mit 4 Jahren bleib Carla wiederholt wach und durfte 13Uhr aufstehen und mit zu den Traumkindern gehen. Am Nachmittag spielte sie mit ihren Freunden und schien nicht müde zu sein. Also vereinbarten die Erzieherin und Carla, dass sie zu den Traumkindern wechseln kann. Carlas Bedürfnis hatte sich verändert. An dieser Stelle zeigt sich, das Bedürfnislagen wechseln und altersbedingt in unterschiedlicher Art und Weise erfüllt werden müssen, damit sie entwicklungsfördernd wirken können. Ein altersgemäßes Maß an Beteiligung ist bei der Bedürfnisbefriedigung immer angezeigt.

Um 14:00Uhr ist Carla mit den anderen Mädchen und Jungen vom Vesperdienst fertig mit der Restaurantvorbereitung. Die Traumkinder gehen als erste essen, während die anderen Kinder aufwachen, ihre Matten räumen und sich anziehen. Danach gehen auch sie bis 15:30 Uhr essen. Nach der Vesper nehmen die Kinder wieder ein Spiel auf – wetterabhängig im Freien oder im Haus. Die Kinder entscheiden, ob Spielideen vom Vormittag fortgesetzt oder neue Themen aufgenommen werden. Anton und Carla werden erst gegen 16:30 Uhr abgeholt. Die beiden haben, wie alle anderen Kinder auch, viel gelernt, neue Erfahrungen gesammelt, sie mussten sich gegen andere durchsetzen, Kompromisse eingehen, Ideen entwickeln, sich an Regeln halten, Erfolge feiern aber auch Rückschläge einstecken. Nicht alle ihrer Bedürfnisse konnten befriedigt werden, aber es gab Erwachsene, die sich ihrer Schwerpunktbedürfnisse angenommen und sie erfüllt haben, damit die Grundlage des Lernens geebnet ist. Ein Austausch zwischen den pädagogischen Fachkräften und Eltern am Ende des Tages oder im Rahmen eines Elterngesprächs hinsichtlich wichtiger Beobachtungen zu Bedürfnisveränderungen ist damit unerlässlich und ein wesentliches Element unserer Pädagogik.

2.6.1. Unser Tagesablauf im Überblick

Zeit Was passiert
6:00Uhr Die Kita öffnet, alle Kinder treffen sich im Frühdienstzimmer
7:00Uhr Eine zweite Pädagogische Fachkraft trifft ein und geht mit den Kindergartenkindern in die obere Etage, Vorbereitung des Kinderrestaurants
7:30Uhr Frühstück, bitte die Kinder ab 7:30Uhr in einem Spielzimmer abgeben, damit die Mädchen und Jungen beim Frühstück ungestört bleiben. Alle Kinder, welche erst nach 7:30Uhr eintreffen, aber noch frühstücken sollen, gehen dann gemeinsam zum Frühstück
8:00Uhr Weitere Spielräume öffnen
8:30Uhr Angebote starten – Wandern, Vorschule, Zahlenland, Trommeln…
9:00Uhr/ 9:30Uhr Der Garten öffnet
10:30Uhr Die ersten Krippenkinder gehen zum Mittag
11:00Uhr Mittagessen beginnt auch im Kindergarten
12:00Uhr – 14:00Uhr Ruhezeit, wir unterscheiden Schlafkinder (also solche, die regelmäßig schlafen), Entspannungskinder (solche die manchmal schlafen oder nur kurz) und Wachkinder (schlafen nie) – entsprechend ordnen Kinder sich zu
14:00Uhr Vesper
14:30Uhr Gartenzeit
16:00Uhr Spätdienstgruppe
17:00Uhr Einrichtung schließt